In meiner vorherigen Abhandlung zum Thema Pflegeheimkosten und Erbschaft habe ich die grundlegenden Mechanismen des Sozialhilferegresses beleuchtet, bei dem das Sozialamt geleistete Pflegeleistungen von Erben zurückfordern kann. Nun ergänze ich dies um die überarbeitete Fragestellung: Was passiert, wenn der Erbe nur den gesetzlichen Pflichtteil erhält? Kann das Sozialamt auch dann auf diesen Erbteil zugreifen und Ersatz für die entstandenen Pflegekosten verlangen? Und welche Abwehrmöglichkeiten gibt es für Betroffene?
Kann das Sozialamt auf den Pflichtteil zugreifen?
Ja, das Sozialamt kann grundsätzlich auf den Pflichtteil eines Erben zugreifen, um Pflegekosten zurückzufordern. Gemäß § 93 SGB XII (Sozialgesetzbuch XII) hat der Sozialhilfeträger das Recht, Pflichtteilsansprüche des Leistungsempfängers (z. B. des pflegebedürftigen Verstorbenen) oder dessen Ehegatten auf sich zu überleiten. Dieser Anspruch entsteht unmittelbar mit dem Erbfall und dient dazu, die in den letzten zehn Jahren vor dem Tod gezahlten Sozialhilfeleistungen (wie “Hilfe zur Pflege”) zu erstatten, sofern diese den Dreifachen des Grundbetrags (im Jahr 2025: 3.378 Euro) übersteigen. Der Erbe haftet hierfür nach § 102 SGB XII, unabhängig davon, ob er den vollen Erbanteil oder nur den Pflichtteil (typischerweise die Hälfte des gesetzlichen Erbteils) erhält. Das bedeutet: Selbst wenn der Erblasser per Testament den Erben auf den Pflichtteil beschränkt hat, kann das Amt diesen Anspruch übernehmen und den Erben zur Rückzahlung verpflichten. Eine einfache Schenkung zu Lebzeiten schützt hier oft nicht, da das Sozialamt nach § 528 BGB ein Rückforderungsrecht geltend machen kann.
Der Zugriff erfolgt nicht automatisch auf das gesamte Erbe, sondern nur auf den Betrag der geleisteten Hilfen innerhalb der Zehn-Jahres-Frist. Ausnahmen gelten z. B. für Leistungen der Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung, die nicht rückforderbar sind. Wenn der Erbe selbst sozialhilfebedürftig ist, könnte der Erbanteil als Schonvermögen geschützt sein, solange er lebt – nach seinem Tod kann das Amt jedoch dessen Erben belasten.
Welche Abwehrmöglichkeiten gibt es?
Glücklicherweise gibt es mehrere Strategien, um den Zugriff des Sozialamts auf den Pflichtteil oder das Erbe zu minimieren oder zu verhindern. Diese erfordern jedoch eine rechtzeitige Planung und oft die Beratung eines Fachanwalts für Erbrecht oder Sozialrecht, da Einzelfälle variieren und steuerliche Aspekte (z. B. Erbschaftsteuer) eine Rolle spielen. Hier die wichtigsten Optionen:
– Testamentarische Gestaltungen: Durch ein Testament oder einen Erbvertrag können Sie den Nachlass so strukturieren, dass das Sozialamt keinen Zugriff erhält.
Beispiele:
– Lebenslanges Wohnrecht mit auflösender Bedingung: Die Kinder erben das Eigentum (z. B. das Familienhaus), der überlebende Ehepartner erhält ein Wohnrecht, das bei Auszug (z. B. ins Pflegeheim) erlischt. Das Amt kann das Haus dann nicht verwerten, und der Anspruch verjährt nach drei Jahren.
– Vor- und Nacherbschaft mit Testamentsvollstreckung: Der Ehepartner wird als Vorerbe eingesetzt (mit beschränkten Verfügungsrechten), die Kinder als Nacherben. Ergänzt durch eine Dauertestamentsvollstreckung (z. B. ein Kind als Vollstrecker) können Erträge so gesteuert werden, dass sie für Sozialleistungen unschädlich bleiben. Solche Regelungen sind vom Bundesgerichtshof als zulässig bestätigt (Urteil vom 19.01.2011, Az. IV ZR 7/10).
– Pflichtteilsverzicht: Im Rahmen eines notariellen Erbvertrags können potenzielle Erben (z. B. Kinder) auf ihren Pflichtteil verzichten, was den Überleitungsanspruch des Amts nach § 93 SGB XII unterbindet.
– Erbe ausschlagen: Wenn die Erbschaft mit hohen Rückforderungen belastet ist, können Erben das Erbe innerhalb von sechs Wochen nach Kenntnisnahme ausschlagen, um Haftung zu vermeiden.
– Umwandlung in Schonvermögen und Freibeträge nutzen: Ererbtes Vermögen kann in geschütztes Schonvermögen (z. B. Eigenheim für den Erben) umgewandelt werden. Bei Bürgergeld oder Sozialhilfe werden Erbschaften nur angerechnet, wenn Freibeträge überschritten sind – eine Prüfung lohnt sich.
– Rechtzeitige Vermögensübertragung: Schenkungen oder andere Übertragungen zu Lebzeiten können helfen, aber nur, wenn sie außerhalb der Zehn-Jahres-Frist liegen und nicht als sittenwidrig gelten. Hier ist Vorsicht geboten, da das Amt rückfordern kann.
Wichtig: Diese Maßnahmen sind keine Garantie und hängen von individuellen Umständen ab. Ich empfehle, einen Anwalt zu konsultieren, um Risiken wie Steuern oder Unterhaltsansprüche (z. B. Elternunterhalt, der nur bei hohem Einkommen > 100.000 Euro/Jahr relevant ist) zu prüfen.
Diese Ergänzung zeigt, dass der Pflichtteil kein automatischer Schutz vor dem Sozialamt ist, aber clevere Planung den Familienbesitz erhalten kann. Bleiben Sie informiert und handeln Sie frühzeitig!
Disclaimer: Es handelt sich hier um eine allgemeine Information, nicht um eine anwaltliche Beratung.
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